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About

1968 born in Freiburg i. Breisgau, Germany

1989-93 Fine Arts, Freie Akademie für Bildende Kunst, Freiburg (Diploma)

1993-98 Fine Arts, Hochschule für Bildende Künste, Hamburg (Diploma)

2000 Hamburger Arbeitsstipendium / Hubertus Wald Stipendium

Lives and works in Hamburg


Shows

2023

Kunst bis 2000, Galerie Klaus Braun, Stuttgart

Eutopia, Kavala, Greece

MEET US ON JUPITER II, Galerie Nanna Preußners, Hamburg

PAPER JAM II, Gallery Onkaf, New Delhi, India

DREI SCHWESTERN, Kunstraum Arcade, Mödling, Austria

Ex Libris, Künstler*innenhaus FRISE, Hamburg

2022

chambre d’art V: Christian F. Kintz, hosted by Burkhard Dierks & Marianne Wauquier, Lübeck (Solo)

Exhibition Untitled TZT068, Bos Fine Art, Utrecht/Den Haag

2021

KUNST | STUBE | BAUERN | RAUM, Altonaer Museum, Hamburg

Aufmerken!, Landesverband Hamburger Galerien, Hamburg

OVER THE EDGE, Galerie Galerie Nanna Preußners, Hamburg (Solo)

Farbe die den Raum erobert, Galerie Klaus Braun, Stuttgart

Groß – nicht artig!, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf

More...

2020

Kapriolen, Neue Galerie Landshut

Christian F. Kintz im Kabinett, Galerie Klaus Braun, Stuttgart (Solo)

Farbmalerei, Galerie Nanna Preußners, Hamburg

Paper Jam, Künstlerhaus FRISE, Hamburg

2019

Blue Matters, Galerie Nanna Preußners, Hamburg

Counter Current, Eclectica Contemporary, Cape Town

Form und Farbe und ein knackiger Titel, Künstlerhaus FRISE, Hamburg

Der spielerisch erkannten Wahrheit Preis, Pavillon am Milchhof, Berlin (Solo)

Über Bilder reden – KP Brehmer und Freunde, Künstlerhaus FRISE, Hamburg

at the cosmos_painting, artspace_Bedürfnisanstalt, Hamburg

FULL COLOUR, Gallery ONKAF, New Delhi (Solo)

Foreign Interferenz, Corbeau Building, Cape Town

2017

Nordwest Zeitgenössisch, Kunstmuseum Bremerhaven

La cuisine allemonde, Galerie du tableau, Marseille

Überwinder, nimm die Palmen, nichts strahlt schöner als das Gold, Künstlerhaus FRISE, Hamburg

2016

ALL YOU CAN SEE, Galerie Nanna Preussners, Hamburg (Solo)

2015

Christian F. Kintz, c/o Schocke, Hamburg (Solo)

Keine Farbe Schwarz, Freitagssalon, Hamburg

Wir können auch anders, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf

2014

Above us Only Sky, Bremer Kunstfrühling, Bremen

2013

Wieder Sehen, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf

Meeresspiegel/Niveau de la mer, Galerie du tableau, Marseille

Farbe hoch drei – Color cubed, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf

2012

Wahnfarben, Galerie Nanna Preußners, Hamburg (Solo)

PI – Die Verwandlung des Kreises, Landdrostei Pinneberg

(dis)PLACEMENTS, Hamburg Art Week

2011

In Farbe, Neue Galerie Landshut (Solo)

Ausser Haus – Farbmalerei, Kunsthaus Stade

From Germany with Love, Galerie Vous etes ici, Amsterdam

Collection, PEAC Paul Ege Collection, Freiburg

2010

Gegenliebe, MUU, Helsinki

Ochsenherz, Galerie Nikolaus Bischoff, Lahr

Farbkörper, Galerie Nanna Preußners, Hamburg (Solo)

Surfaces, Galerie Robert Drees, Hannover

2009

Light my Fire, Künstlerhaus FRISE, Hamburg

XXL Collection, PEAC Paul Ege Kunstsammlung, Freiburg

Kunst in der Klinik, Herzzentrum Bad Krotzingen (Solo)

2008

Christian F. Kintz, Galerie Nikolaus Bischoff, Lahr (Solo)

New Work, Kunstempore Kreissparkasse Stade-Altes Land, Stade (Solo)

2007

Farbe und Farbe, Artstudio 1, Deinste (Solo)

Collection, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf

Visionäre Sammlung Vol. 4, Werke 05-07, Haus Konstruktiv, Zürich

2006

Ordnung und Verführun, Haus Konstruktiv, Zürich

Geometrisk Abstraktion XXV, Konstruktiv Tendens, Stockholm

2005

Wechselstrom, Motorenhalle, Dresden

Ansichten/Aussichten, Galerie Mathias Güntner, Hamburg

Geometrisk Abstraktion XXIV, Konstruktiv Tendens, Stockholm

Sehen Sie selbst, curated by Rik Reinking, Künstlerhaus FRISE, Hamburg

2004

Christian F. Kintz, Galerie Garanin, Berlin (Solo)

Jäger, Sammler, Maler – Zeitgenössische Positionen aus Hamburg, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg

2003

Christian F. Kintz, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf (Solo)

Kunstforum Mainturm, Frankfurt

2002

Christian F. Kintz, Galerie Garanin, Berlin (Solo)

Zimmer_frei, St. Barbara, Attendorn

2001

Christian F. Kintz, Demmel Kunstprojekte, Osnabrück (Solo)

2000

Christian F. Kintz, Konstruktiv Tendens, Stockholm (Solo)

Stipendiaten 2000, Hamburg Working Grant for Visual Arts, Hubertuswaldstipendium, Kunsthaus Hamburg

Halle 5, Attendorn

Problem Malerei, curated by Bernhard J. Blume, Kunstverein Gütersloh

1999

Christian F. Kintz, Foyer für junge Kunst, Hypo- und Vereinsbank, Hamburg (Solo)

Geometrisk Abstraktion XVIII, Konstruktiv Tendens, Stockholm

Lücke, KX auf Kampnagel, Hamburg

Hans im Glück, Das Kunstwerk, Köln

1998

Degree Show, Kampnagel, Hamburg

1997

Galerie Krohn, Badenweiler (Solo)

Raumfragen, Ateliers für die Kunst, Hamburg

1996

Kunstraum Alter Wiehrebahnhof, Freiburg (Solo)

1990

Storchehus, Wehr (Solo)


Art Residencies

2021

AiR Guiniguada Artist and Researcher Residency, Gran Canaria

2019

Onkar Art Foundation, New Delhi

Artist in residency, Cape Town

2017

AARK, Korpo, Finland

Catalogue: OVER THE EDGE


Cover of the catalogue with colourful wall display of different art works

Wann funktioniert eine Farbe? Und was passiert, wenn – entgegen unserer Gewohnheiten – Farbe nicht nur eine, sondern viele Farben ist? Wenn sie auf ungewöhnliche Materialien trifft und mit diesen ins Wechselspiel tritt? Oder durch die Betonung ihrer plastischen Qualitäten selbst in ihrer Materialität betont wird? Tragen unsere Wahrnehmungsmuster dann weiterhin? Oder ist es möglicherweise notwendig Grenzen zu überschreiten und der Kunst mit neuem Blick zu begegnen? In seiner jüngsten Werkreihe fordert Christian F. Kintz unsere Rezeptionsgewohnheiten heraus und über­schreitet die Grenzen des klassischen Materialdenkens auf einzigartige Weise.

Published by Galerie Nanna Preußners, 2021, with Gudberg Nerger, Hamburg

Text in German language by Anne Simone Krüger

ISBN: 978-3-945772-72-0

In German language. 52 p., 29,7 x 21 cm, softcover, thread stitching, 18,90 €. Order here

Texts

Anne Simone Krüger: Over the Edge (2021)

„Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein. Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein. Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.“

Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, London 1922

Wann funktioniert eine Farbe? Und was passiert, wenn – entgegen unserer Gewohnheiten – Farbe nicht nur eine, sondern viele Farben ist? Wenn sie auf ungewöhnliche Materialien trifft und mit diesen ins Wechselspiel tritt? Oder durch die Betonung ihrer plastischen Qualitäten, selbst in ihrer Materialität betont wird? Tragen unsere Wahrnehmungsmuster dann weiterhin? Oder ist es möglicherweise notwendig Grenzen zu überschreiten und der Kunst mit neuem Blick zu begegnen? In seiner jüngsten Werkreihe fordert Christian F. Kintz unsere Rezeptionsgewohnheiten heraus und überschreitet die Grenzen des klassischen Materialdenkens auf einzigartige Weise. Denn Bildträger und Bildmaterial, Bildgrund und Bildoberfläche lassen sich hier kaum in hergebrachte Kategorien pressen. Neben Ölfarbe verwendet der Künstler hier erstmalig in seinem Schaffen auch Blei. In Form von Walzblei, also dünn gewalztem Metallband, taucht es in unterschiedlichen Varianten als malerische Schicht auf: mal matt und mal glänzend, teils übermalt und teils in seiner metallischen Farbigkeit belassen. Immer geht die glatte Oberfläche des Schwermetalls dabei ein energiereiches Spannungsverhältnis mit den intensiven Farben ein, welche die zweite Bildkomponente darstellen. Auch die Farbe wird allerdings nicht nur auf ihre malerischen, sondern auch auf ihre haptischen Eigenschaften geprüft. Dick aufgetragen, als tieffurchiges Impasto und unmittelbar daneben als glatte Fläche.

Die Materialwechsel treten dabei nicht nur innerhalb des jeweiligen Elementes auf, sondern überschreiten diese. So ist Blei ein sehr weiches und biegsames Material, während Ölfarbe beim Trocknen glashart wird. Die sinnliche-haptischen Reize werden in diesen Bildern durch die Sinnlichkeit der Materialien auf die Probe gestellt, denn alles könnte schließlich auch ganz anders sein. „Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.“ Mit spielerischer Leichtigkeit malt Christian F. Kintz die Schwere, welche dem Blei traditionell anhaftet, beiseite. Denn Blei, als eines der ältesten und wichtigsten Gebrauchsmetalle, trägt eine immense kulturgeschichtliche Bedeutungslast. Durch seine Zuordnung zum Planeten Saturn, dem Zeitgott Chronos und den Topoi der Melancholie, ist es klassisch mit negativer Bedeutung aufgeladen.[1] Seine Karriere als Material der Kunst begann in den 60er Jahren, unter ebenjenen Vorzeichen. Richard Serra begann zu jener Zeit siedendes Blei gegen die Bodenkanten von Räumen zu schleudern. Diese „Splashings“ distanzieren sich zwar von metaphorischen Inhalten und ikonologischen Zuschreibungen, ganz können sich seine schweren Gebilde, die sich im Laufe der Zeit weiter verformen, jedoch nicht von der Erblast des Materials befreien. Anselm Kiefer wiederum macht sich die Konnotationen des Materials teils explizit zu eigen, und auch Künstler wie Joseph Beuys, Jannis Kounellis, Antony Gormley oder Robert Morris verwenden Blei vor allem unter dem Aspekt von Bedeutungsproduktion.[2]

Christian F. Kintz nun verwendet Blei rein unter malerischen Aspekten als ästhetisches Material. Allein der inhaltliche Faktor Zeit bleibt erhalten, denn auch diesbezüglich kann sich alles als ganz anders erweisen: so oxidiert das Metall mit der Luft und verändert dadurch über die Zeit hinweg seine Erscheinung. Abgesehen davon eröffnen sich in der Serie der Blei-Bilder neue Möglichkeiten der Bildgestaltung. So wird das Blei nicht nur auf die Leinwand gelegt, sondern vielmehr über den Bildrand hinweg gebogen. Das Blei als Teil der malerischen Gestaltung wächst genauso wie die Farbe über die Oberfläche hinaus, das Bild wird seiner Zweidimensionalität enthoben und zu einem dreidimensionalen Bildkörper, der sich über die Grenze von Malerei und Plastik hinwegsetzt.

Das Phänomen einer grenzüberschreitenden Malerei findet sich auch in der Reihe der nahezu monochromen Farbflächen. Sie leuchten in tiefgelb-leichtgrün, magenta-nachtblau oder grün-opak und verändern sich mit wechselndem Licht und je nach Standpunkt sachte. Kaum eine Farbbezeichnung will sich als wirklich treffend erweisen, kaum ein Begriff hält dem, was sich dem Auge bietet, wirklich stand. Denn statt einer Farbe vereinen sie ein Spektrum unterschiedlicher Töne.  „Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.“ – und vor allem ändert es sich im gleichen Moment, in dem wir es betrachten. Keine Form stört diese Farbflächen in ihrer Wirkung, sie verzichten auf alles, was der Farbe ihre zentrale Rolle absprechen würde. Darin stehen sie den Color Field Paintings eines Mark Rothko oder Barnett Newman nahe. Auch bei Christian F. Kintz stört nichts den Dialog zwischen Betrachter*in und Bild, der sich, sofern wir uns darauf einlassen, als ein sehr zeitintensiver herausstellt. Denn erst nach und nach zeigen sich alle farblichen Facetten. Ebenfalls erst bei längerer Betrachtung zeichnet sich einüberraschender, aus der Farbe geschaffener Tiefenraum ab. Weit entfernt von jedem Illusionismus ist es ein abstrakter Raum, ein Farbraum. Denn diese Bilder kopieren nicht die Welt, abstrahieren sie noch nicht einmal, sondern schaffen eine eigene, parallele Welt, einen Farbkosmos. Dessen Räumlichkeit entsteht durch die Arbeitsweise des Künstlers, der zahlreiche Farbschichten übereinanderlegt. Die unteren Schichten scheinen jeweils sanft durch die darüber liegenden hindurch und erzeugen in ihrem Zusammenspiel einzigartige Farbklänge, die sich sowohl visuell, als auch sprachlich nur schwer fassen lassen. Nachvollziehen lässt sich dieser Prozess in den Randsituationen: die Farbe wächst über die Leinwand hinaus, sie überschreitet die Bildgrenze, wandert „Over the Edge“ und offenbart die Archäologie der Bildentstehung. Zwar verzichtet der Künstler in der Bildgestaltung nahezu vollständig auf einen Duktus oder eine Textur, die Randzonen der Bilder und die immer wieder auftauchenden bildimmanenten Rahmensituationen fangen die relativ glatten Flächen jedoch auf. Farbe wird hier rein in ihrem Eigenwert behandelt, sie ist frei von jeglicher Symbolik.

Gerade dadurch ermöglicht sie es, die eigene Wahrnehmung zu prüfen, zu testen, zu revidieren. Wie sich die Wirkung der Farben dabei situationsbedingt durch das Zusammenspiel mit anderen Farben ändert und neu konnotiert, lässt sich in jeder Ausstellungssituation von neuem erfahren. Denn die Wand des Ausstellungsraumes wird ihrerseits zur Leinwand, auf welcher der Künstler die einzelnen Bilder zu einem temporären Bildgefüge arrangiert. Plötzlich wirken die Farben teils überraschend anders, teils verändern sie sich gegenseitig. Und immer wieder stehen wir als Betrachter*innen vor ihnen und können uns fragen, warum wir gewisse Vorlieben und Abneigungen hegen, warum wir die Farben kaum neutral sehen können und welche wir miteinander kombinieren würden.

Erweitert wird das Farbuniversum auch durch Glasarbeiten, die kleine farbige Kosmen eröffnen. In diesem Falle entzieht sich die Farbe jedoch der Haptik, sie erhält durch das Glas eine nicht greifbare, glatte Oberfläche. Die Ästhetik der Farbe wird durch das Glas ein weiteres Mal transformiert, wiederum eröffnen sich neue Konnotationen. Der schmale Goldrahmen setzt hier eine klare Begrenzung der Farbfläche. Nicht nur Farbe wird allerdings zu einer runden Angelegenheit. Auch dem Blei begegnen wir in runder Form, goldgerahmt und farbig gestaltet, wieder.

 „Over the Edge“ – der Ausstellungstitel ist Programm. So malt der Künstler gegen seine und unsere Erwartungen an und schafft es immer wieder aufs Neue zu überraschen. Seine Farb- und Materialexperimente nehmen uns mit auf eine grenzüberschreitende Reise in die Welt der autonomen Farbe. Die Tradition eines Kasimir Malewitsch weiterführend, dessen Schwarzes Quadrat auf weißem Grund 1915 die Autonomie der Farbe begründete, zeigt Christian F. Kintz mit seinen Arbeiten, dass dieser Weg noch lange nicht zu Ende beschritten ist.

Anne Simone Krüger


[1] Vgl. Lexikon des künstlerischen Materials. hrsg. von Monika Wagner, München 2002, S.42.

[2] Vgl. ebd. S.43.

Anne Vieth: Wand-, Decken- und Bodenmalereien von Christian F. Kintz (2011)

Christian F. Kintz gelangt in seinen Wand-, Decken- und Bodenmalereien zu einer sehr unmittelbaren Umsetzung ortsspezifischer Strategien. Diese Arbeiten sind nicht nur für einen bestimmten Ort geschaffen und berücksichtigen dessen architektonische wie funktionale Bedingungen, vielmehr kann dieser Werkkomplex deshalb als genuin ortsspezifisch bezeichnet werden, weil die örtlichen Voraussetzungen explizierte konstituierende Elemente der Werke sind. Es ist also kein bloßer Bezug auf die Lichtsituation im Raum, sondern ein unmittelbares Arbeiten mit dem einfallenden Licht. Der Künstler lässt sich ganz und gar auf das Zusammenspiel von architektonischen Strukturen, Licht und Schatten ein. Im Grunde vertraut er das disegno dem Sonnenlicht an, das colore übernimmt er selbst, indem er die Lichtfelder, die sich auf den Raumkonstituenten abzeichnen, farbig ausmalt. So hält Kintz in den „wand’rin’ star“-Malereien einen ganz bestimmten Moment fest und kehrt darin die räumliche und zeitliche Spezifität des Ortes hervor.

Dieses Verfahren wäre ohne zwei paradigmatische Entwicklungen undenkbar: die Konzeptualiserung und Kontextualisierung der Kunst, die sich in den 1960er Jahren zu manifestieren begannen. Die Konzeptkunst räumte der Idee des Kunstwerks Priorität ein und begünstigte künstlerische Ausdrucksformen, die, wie die Arbeiten von Kintz, auf einem vorher festgelegten Prinzip basieren. Für Konzeptkünstler wie Sol LeWitt, Lawrence Weiner und Mel Bochner war das Arbeiten mit den Raumkonstituenten besonders reizvoll, da Wand-, Boden- und Deckenarbeiten – auch heute noch – der konventionellen Form des Kunstwerkes als Objekt und mobiles Exponat nicht entsprechen. Ihre Einmaligkeit trotz Wiederaufführbarkeit und ihre Ephemerität trotz gesicherter, im Zertifikat sprachlich fixierter Existenz, machen diese Arbeiten zu ambivalenten Werken wie sie den Konzeptkünstlern und ihrem kritischen Blick auf den Status des Kunstwerkes entgegen kamen.

Kintz steht mit den „wand’rin’ star“-Arbeiten im Wirkungsbereich dieser Überlegungen. Auch er übergibt dem Käufer kein ‚leicht zu handhabendes’ Werk, das sich problemlos wieder veräußern lässt. Und er geht noch weiter, da er dem Besitzer nicht sagen kann, wie genau das Werk aussehen wird. Kintz entscheidet vor Ort – sowohl über die Form als auch über die Farben der Komposition. Hierin zeigt sich ein weiterer Aspekt konzeptuellen Denkens: die Infragestellung der künstlerischen Autorschaft. Auch Kintz relativiert die Rolle des Künstlers wenn er den ausschlaggebenden Impuls für die Realisierung der in situ-Malereien dem Zufall, präziser der (Licht-)Situation vor Ort überlässt.

Installative, also mit dem Raum arbeitende, bzw. auf den Umraum bezogene, Kunstwerke verweisen auf die zweite einschneidende Entwicklung der zeitgenössischen Kunst: ihre Kontextualisierung. Als Kunstform begann sich die Installation seit den 1960er Jahren zunehmend auszubilden und sie kann heute als dominierende Kunstform bezeichnet werden. In ihren Anfängen nahm sie nicht nur eine klare Gegenposition zu der kontextungebundenen Werkkonzeption der Moderne ein, sie reagierte zudem auf die Kontextualisierung des Raumbegriffs. Das bereits in den Avantgarden am Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzende Interesse am Raum war in den Environments der 1950er noch deutlich von raumanalytischen Bezügen, aber spätestens in der Minimal Art von kontextanalytischen Tendenzen geprägt. Raumbewusstsein verband sich also zunehmend mit Kontextbewusstsein: Die Reflexion auf die tatsächliche Werkumgebung wurde bereichert durch Überlegungen, die den Raum als ein kontextualisiertes Gefüge begriffen.

Seither machen es sich die Künstler zur Aufgabe, die Wechselwirkungen zwischen dem Werk, seiner Umgebung und Präsentation, aber auch die Verquickung mit den gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen aufzuzeigen. Dass kein Kunstwerk ohne seinen Kontext bestehen kann, darüber herrscht Konsens. Kintz führt diese Reziprozität allerdings besonders deutlich vor Augen. In den „wand’rin’ star“-Arbeiten wird offenkundig, dass der Kontext das Werk bedingt und das Werk den Kontext nachhaltig verändert. So verwandelt sich das Foyer einer Sparkasse durch Kintz’ Wandmalerei in ein lebhaftes Licht- und Farbenspiel, das die Dynamik des Kommen-und-Gehens und die Transfertätigkeit dieses gesellschaftlichen Ortes wiederspiegelt; ein Treppenaufgang des Berliner Bundespräsidialamtes wird ein Stück weit von seiner historischen Wirkung befreit, wodurch Kintz auch die ideologische Bedeutungsmacht dieses Ortes einer Modifizierung und zeitgemäßen Relativierung unterzieht; und nicht zuletzt durchbricht der Künstler die noch immer wirksame Ideologie des White Cube im Ausstellungsraum der Hamburger Frise auf subtile und ebenso ‚leichtfüßige’ Weise.

Gemeinsam ist diesen Arbeiten, dass sie den Blick des Betrachters auf die zwar sichtbaren, in der Regel aber nicht bewusst wahrgenommenen Umgebungsbedingungen lenken. Sie sensibilisieren ihn für das kontextuelle Gefüge, in dem er selbst, gerade aufgrund seiner Mobilität, eine entscheidende Rolle spielt. Durch seine Bewegung verändert sich die Relation zu den anderen Elementen und Personen im Raum ständig – genau genommen ist er beteiligt an der Konstitution des Raums. In seinen Wand-, Decken- und Bodenarbeiten ermöglicht Kintz dem Betrachter seine raumgenerierende Funktion zu erfahren. Nicht nur, weil die Arbeiten in situ sind und das Durchschreiten des Raumes fordern, sondern auch, weil sie in ihrer konzeptionellen raum-zeitlichen Spezifität eine bestimmte Raumsituation schaffen, in die sich der Betrachter begeben muss, sofern er sich mit dem Kunstwerk auseinandersetzen möchte. Diese geschaffene Situation fordert neben der Betrachtung auch die Teilhabe des Rezipienten und zielt dabei auf eine leibliche Selbsterfahrung ab.

Indem die „wand’rin’ star“-Arbeiten von Christian F. Kintz die räumliche Wahrnehmung intensivieren und auf die sichtbaren wie unsichtbaren Aspekte der gegebenen Situation aufmerksam machen, eröffnen sie nicht nur die Möglichkeit ästhetische Erfahrung bewusst zu erfahren, sondern auch sehr grundlegende Fragen an das individuelle ‚In-der-Welt-Sein’ zu stellen.

Dr. Anne Vieth

Belinda Grace Gardner: Rede zu »Neue Arbeiten«, Kunstempore Sparkasse Stade-Altes Land (2008)

Seit einigen Jahren erlebt die Malerei in Deutschland bekanntlich einen regelrechten Boom. Insbesondere die figürliche Spielart der Malerei – Stichwort: Leipziger Schule – erfreut sich großer Beliebtheit auf Messen und bei Sammlern im Ausland. Die Fülle von malenden „Geschichtenerzählern“, die auf den Markt drängen, hat aber auch zu einem Erschöpfungszustand geführt: Etwas ermattet blickt man mittlerweile auf die zigfachen Aufgüsse undurchsichtiger Szenen à la Neo Rauch oder Daniel Richter, wo seltsame Gestalten in mysteriöser Umgebung absurden Geschäften nachgehen. Oder auf Bilder, in denen die zweite Realität unserer flirrenden Medienwelt in Endlosschleifen ihre Runden dreht.

Ganz anderen Wegen folgt der 1968 in Freiburg geborene, schon länger in Hamburg lebende und arbeitende Maler Christian F. Kintz, dessen Ausstellung heute Abend in Stade eröffnet wird. Seine Arbeiten sind – wie schon auf den ersten Blick zu erkennen ist – weder gegenständlich noch konfrontieren sie die Betrachter mit erzählerischen Hinweisen. Vielmehr bewegt sich Kintz in ästhetischer Nähe zu einer aktuellen Strömung in der Kunst, die sich parallel – und durchaus im Kontrast – zur inhaltlich aufgeladenen Malerei der jüngeren Zeit entwickelt hat. Und formale Stringenz sowie eine Auseinandersetzung mit den abstrakten Tendenzen der klassischen Moderne und nachmodernen Positionen seit den 1950er Jahren in den Mittelpunkt stellt. Doch auch hier nimmt Christian F. Kintz eine sehr eigene Haltung ein – eine Haltung, die unabhängig ist von einer „modischen“ Beschäftigung mit Formalismen und deren Oberflächenreize. Der Begriff „gegenstandslos“, mit dem man eine von figurativen Elementen freie Malerei gängigerweise belegt, greift ebenfalls nur bedingt bei seinen energetisch pulsierenden bis sanft leuchtenden Bildwerken. Denn der „Gegenstand“ des Hamburger Künstlers ist zum einen ganz zentral die Farbe und zum anderen der Raum in seinen unterschiedlichen Funktionen. Letzterer kommt nicht nur „binnenstrukturell“, das heißt, als innerbildliche Dimension zum Tragen. Sondern auch als Aktionsterrain, in dem Kintz die einzelnen Bilder zu dynamischen Gruppen, Gegenüberstellungen und Reihungen arrangiert, die in ihrer anmutigen Virtuosität an Gestalt gewordene musikalische Partituren denken lassen. Oder an Ein- und Ausblicke in Kraftfelder, die ihre Energie aus dem wechselnden Zusammenspiel der unterschiedlichen Farben und Bildformate beziehen.  

Fragt man den Maler, der sein Kunststudium in Freiburg und Hamburg absolviert hat, wo er selbst Einflüsse auf seinen Werdegang sieht, nennt er interessanterweise als frühe Inspirationsquelle den großen Vorreiter des amerikanischen Abstrakten Expressionismus, Willem de Kooning, dessen zunehmende Auflösung der Figur zugunsten eines freien, expressiven Malduktus ab den 1950er Jahren stilprägende Wirkung hatte. Die erste „Live“-Begegnung mit de Koonings Werken bei einer Ausstellung in New York löste bei Christian F. Kintz Begeisterung aus. Auch wenn sich die Arbeiten des Hamburger Künstlers von jener ausladenden Vehemenz des Abstrakten Expressionismus längst weit entfernt haben, entdecken wir – bei näherer Betrachtung – in ihnen ein ungezähmtes, man möchte fast sagen „wildes“ Moment, das gewissermaßen durch die „Hintertür“ der Bildränder in die matt schimmernde Sphäre ebenmäßiger Farbverteilung einbricht. Und sich als in die Malerei selbst eingeschriebene Information auch hinter beziehungsweise unterhalb der „geordneten“ Erscheinung abspielt.

Im Laufe der Zeit, so Kintz, habe er Bild für Bild immer mehr an gestischem Duktus in seiner Malerei weggelassen – bis er zur Auseinandersetzung mit übereinanderliegenden Farbflächen vorgedrungen war: seine Praxis der Bildgestaltung bis heute. Der Künstler verwendet grundsätzlich selbst gemischte, deckende Ölfarben in seiner Malerei. Die verführerischen Farbnuancen, die von strahlenden Bonbon-Tönen zu gebrochenen Pastellschattierungen reichen, manifestieren sich als oberste „Haut“ sich mehrfach überlagernder, glatt aufgespachtelter Farbschichten. Wie viel farbliche Dynamik in einer augenscheinlich monochromen Malerei steckt, offenbart sich an den Rändern, die im Gegensatz zur Ebenmäßigkeit der Bild flächen geradezu ungestüm wirken. An ihren Peripherien wirken die grundsätzlich im Verhältnis sieben zu acht formatierten Werke überraschend unregelmäßig, rau, fast ausgefranst. Von seitlicher Perspektive aus betrachtet, werden die dickflüssig hervorquellenden Farben sichtbar, die – wie unsichtbares pflanzliches Wachstum im Erdboden oder unter einer Decke aus winterlichem Schnee – im Verborgenen ihre mehrspurige Pracht entfalten. Dieser Umgang mit den Randzonen der Bilder, in denen die konstituierenden Kräfte – wenn man so will – des Gesamteindrucks sichtbar werden, erinnert ein wenig an die objekthaften, sogenannten „Sandwich“-Bilder des bekannten Düsseldorfer Beuys-Schülers Imi Knoebel. Letztere setzen sich ebenfalls aus mehrfarbigen Schichten unterhalb der Bildfläche zusammen, die erst an den Rändern optisch zum Zuge kommen.

Die Brüche, die Christian F. Kintz gezielt in seine Malerei einbaut, unterlaufen eine streng minimalistische künstlerische Vorgehensweise. Die von Kasimir Malewitsch, dem großen Erfinder der Ikone der Moderne – des „schwarzen Quadrats“, angestrebte Befreiung der Kunst von dem „Ballast des Gegenständlichen“ ist dennoch bei Kintz weiterhin virulent.  Ebenso wie Malewitschs Raumbegriff als „Behälter ohne Maß“.   Ausgehend von dieser ästhetischen Freifläche sprengt der Hamburger Künstler immer wieder die Grenzen der von ihm selbst gesetzten, durchweg abstrakten „Rahmenhandlungen“ seiner Malerei. Besonders auf die Spitze treibt er dies in einer Gruppe von neueren Arbeiten, in denen er das Bild, die Bilder, auf mehrfarbig gestaltete Ränder reduziert. Wir sehen hier – als beinah skulpturale Zeichen an der Wand – über- und nebeneinandergereihte Farbbänder, die den Anschein erwecken, als befinde sich die dazugehörige Leinwand jeweils hinter den Kulissen, sozusagen in der Wand. Wie Teststreifen fürs Auge oder geheimnisvolle Farbcodes rücken diese plastischen malerischen Kondensate – der Künstler spricht selbst von „Farbwasserfällen“ – den Blick auf ebenjene Randgebiete der Malerei, auf die sonst die Aufmerksamkeit nur beiläufig gerichtet ist. Die Einfassung, der Saum des Bildes wird zum zentralen Ereignis, zu einer „Zone der Dringlichkeit“, um eine auf heutige Großstädte gemünzte Formulierung bei der 50. Venedig-Biennale 2003 zurück zu greifen. Wieder ist die mehrfache Schichtung, die Gleichzeitigkeit der farblichen Äußerungen ein Thema, das sich hier allerdings auf einen buchstäblich „schmalen Grat“ konzentriert.  

Flächiger manifestiert sich dieses Verfahren in zwei weiteren Gruppen von Arbeiten aus jüngerer Zeit, in denen Kintz kompositorische Prinzipien seiner Gemälde auf die Medien der Fotografie und des Siebdrucks übertragen hat. Die seit 2007 entstehenden Fotoexponate gehen zurück auf das aus unzähligen kleinen bemalten Tafeln bestehende Farbarchiv des Künstlers. Ausgewählte Farbtafeln, die mit leichter Verschiebung übereinander gelegt werden, hat er mitfixierter Reprokamera aufgenommen und mittels Mehrfachbelichtung als Gesamtbild einander überlappender Schichten festgehalten. Durch direkte Vergrößerung des fotografischen Negativs – es findet ohne Positiv-Umwandlung Verwendung – ergeben sich überraschende Farbeffekte, die zu einer weiteren Verfremdung der malerischen Vorlagen führen. Die auf Acrylglas gezogenen Fotokompositionen haben eine durchscheinende, zarte, fast ephemere Qualität, die einerseits Kintz’ malerischem Ansatz verpflichtet ist, an dererseits aber dessen Radius um eine „lichtspielerische“ Komponente erweitert.   Auf etwas andere Weise gilt das ebenfalls für die Siebdruckarbeiten, die der Künstler zwischen 2006 und 2007 produziert hat. In diesem Fall ergibt sich die Schichtung der nicht ganz quadratischen Felder in den Bildern aus dem Übereinanderdrucken mehrerer Farben, wobei beispielsweise der satt schimmernde braune Hauptton einer Arbeit aus einer Akkumulation von Orange-, Blau- und Rotabstufungen hervorgehenkann. Christian F. Kintz hat seine Malerei unter anderem bereits im Museum gegenstandsfreier Kunst in Otterndorf ausgestellt, in dessen hochkarätiger Sammlung er neben namhaften Klassikern der abstrakten Kunst wie Hans Arp, Max Bill, Sol LeWitt und James Turrell vertreten ist. Gemeinsam mit jüngeren internationalen Positionen der gegenstandslosen Kunst – darunter Liam Gillick, Wade Guyton, Sarah Morris, Tobias Rehberger und Heimo Zobernig – hat der Künstler unlängst an der Schau „Ordnung und Verführung“ im Züricher Haus Konstruktiv – Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst teilgenommen.  

In der Sparkasse Stade-Altes Land, deren Sammlung im übrigen ebenfalls über eine Gruppe von Arbeiten des Künstlers verfügt, zeigt Christian F. Kintz nun erstmals die Bandbreite seines Schaffens, das – wie wir heute Abend erleben können – neben Malerei auch Fotografie und Druckgrafik umfasst. Seine Kompositionen nehmen die Betrachter stets mit in eine vielschichtige Welt der Farbe, mittels derer er die Weite und die Tiefe der Bild-Räume diesseits und jenseits der Malerei immer wieder aufs Neue auslotet und freisetzt.

Dr. Belinda Grace Gardner

Bernd Künzig: Polychrome Körper – Zur Malerei von Christian F. Kintz (2008)

Mit dem „Schwarzen Quadrat“, einer monochrom schwarzen Fläche auf weißem Grund, deren obere Kante leicht geneigt ist, erreichte Kasimir Malewitsch als Begründer der suprematistischen Malerei nicht nur einen Höhepunkt der aufkommenden Abstraktion, eine Ikone des gegenstandsfreien Bildes – seine ursprüngliche Hängung ersetzte im traditionellen Herrgottswinkel das Abbild der Göttlichkeit – sondern ebenso eine ikonoklastische Geste, die die Geschichte der Malerei auslöschen sollte, um diese von einem Nullpunkt aus neu zu schreiben. Hier tritt die Malerei als heroische Geste eines neuen gesellschaftlichen Zeitalters in Erscheinung, die auch ästhetisch an den politischen Umwälzungen der jungen Sowjetunion nach dem ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution Anteil nehmen wollte. Eine derartige künstlerische Utopie hat sich letztlich als realitätsfern erwiesen, wie sich schließlich auch das gesamte politische System als solches zeigen sollte. Der utopische Irrtum löste sich letztlich als Weg der Konsequenz ein, der von der symbolistischen Übersteigerung der Jahrhundertwende zur abstrakten Kunst führte, die in der gesellschaftspolitisch völlig anders gelagerten Nachkriegsmalerei der New York School mit ihren großformatigen Monochromien mündete. Was als End- und Nullpunkt einer Kunstgeschichte gedacht war, erweist sich als historischer Faktor, der bei aller Ungegenständlichkeit nicht ohne den Gegenstand der Geschichte der Malerei und damit ihres Gedächtnisses denkbar ist.

In einem derartigen Kontext betrachtet, lässt sich das malerische Werk von Christian F. Kintz nicht nur als Anknüpfungspunkt an vergleichbare heroische Gesten der Abstraktion lesen, sondern auch als bewusste Auseinandersetzung mit der Idee eines malerischen Gedächtnisses. Denn nur auf den ersten Blick lassen sich die Bildtafeln als monochrome Zuspitzungen sehen. Im Gegensatz zu den glatten monochromen Leinwandflächen des abstrakten Expressionismus eines Barnett Newman, franst die Malerei Christian F. Kintzs zum Rand hin aus. Damit wird der Blick gezielt vom Zentrum zur Peripherie gelenkt, nicht mehr die philosophische Leere des monochromen Zentrums scheint im Mittelpunkt zu stehen, sondern jener ereignishafte, durch einen hohen Grad an Zufall geprägte Rand, der den Betrachter um die Ecke schauen lässt auf die wesentlich kleinere Fläche der Bildränder. Auf dieser werden nicht nur die Auftragungsspuren der Farbe erkennbar, die auf der großen Oberfläche glatt und mechanisch erscheinen, sichtbar wird ebenfalls, dass es sich bei dieser Monochromie des Vordergrunds um eine Polychromie der Bildtiefe handelt. Hier offenbaren sich die monochromen Tafeln als Palimpsest, das mehrere Farbschichten übereinander lagert. Was frontal sichtbar wird ist lediglich das möglicherweise vorläufig festgehaltene Ergebnis eines prozessualen Vorgangs, mit dem Farbschicht auf Farbschicht aufgetragen wird.

Im Gegensatz zur Idee einer reinen Monochromie im Sinne Malewitschs, die die Geschichte eines Bildes als zeitlichen Prozess zu tilgen versucht, um am Nullpunkt von vorne anfangen zu können, besteht die Malerei Christian F. Kintzs auf dem Aspekt des Gedächtnisses, das in einem Bildmoment einer einfarbigen Oberfläche am Seitenrand den geschichtlichen und damit zeitlichen Weg einer derartigen Malerei offenbart. Der Blick um die Kante der monochromen Tafel erweitert diese in den Raum hinein. Die unbegrenzte Fläche, die in der abgeschlossenen Bildtafel nur ihr vorläufiges, materielles Ende findet, lässt die Farbe nicht nur über den Rand hinaus in den Raum drängen, sondern verdeutlicht darüber hinaus, dass die Monochromie der Oberfläche lediglich eine Haut ist unter der sich ein vielschichtiger Farbkörper befindet, der aus der Wand heraus in den Raum zu wachsen scheint.

Dieser Weg von der Fläche in den Raum zeigt sich nicht zuletzt in den komplexen Arrangements der Hängung, die Christian F. Kintz für die Präsentation seiner Arbeiten wählt. Dabei zählt weniger die einzelne Bildtafel als vielmehr das rhythmische Zusammenspiel der Farben und Formate. Letztere befinden sich in einem strengen System serieller Bezüglichkeit: vier kleinere Tafeln ergeben neben- und übereinander addiert die Grundfläche des nächst größeren Formats. Die Kombinationen auf der Wand folgen einem Prinzip des Zusammenstellens, des Komponere, das in der Tat eine Art des monochromen Konzerts im Ausstellungsraum bildet, bei dem von einer Farbkomposition die Rede sein kann, die sich nicht im Klangraum abspielt, sondern in dem der Stille.

Wie sehr die Monochromie dieser Malerei von ihrer zeitlichen Prozessualität bestimmt wird, verdeutlicht Christian F. Kintz mit der neueren Phase seiner Malerei, die als Werkgruppe nun die Ränder in den Fokus der Aufmerksamkeit setzt. Die monochrome Fläche wird in einem metaphorischen Sinne um neunzig Grad „gekippt“ und scheinbar „in die Wand geschoben“. Die monochrome Fläche reduziert sich zur schmalen Oberkante und als eigentliche Bildfläche tritt die Polychromie überlagerter Farbschichtungen hervor, die über das zugrunde liegende Holz gezogen wurden. In einem weiteren Schritt der bildhaften Montage schichtet Christian F. Kintz diese polychromen Ränder aufeinander und erzeugt damit einen neuen Bildkörper, der sich aus mehreren überlagerten Bildtafeln zusammenzusetzen scheint. Nicht von ungefähr erweckt dieser Bildmoment den Eindruck einer Ablagerung, einer geologischen Schichtung, die in erster Linie einen Weg zu verdeutlichen sucht, den Blick von einer Monochromie der Oberfläche zur Polychromie des Entstehungsprozesses zu lenken. Damit wird die Komponente der Zeit im scheinbar statischen Bildraum betont – eine Betonung, die durchaus als Kommentar auf jene nicht zu erreichende Utopie eines Nullpunkts gelesen werden kann, den die Einführung der monochromen Bildtafel erreichen wollte. Wenngleich die Monochromie ungegenständlich ist, so sehr rückt die Verlagerung der Malerei auf ihren polychromen Schichtungsprozess ihren eigentlichen Gegenstand in das Zentrum, nämlich den des Farbauftrags. Und dieser ist ohne die Zeit seiner Geschichte kaum denkbar.

Diese konzeptuelle Vorstellung einer Entfaltung der Malerei als Kunst der Zeit- und Raumformung akzentuiert Christian F. Kintz mit seinen fotografischen Arbeiten. Für diese hält der Maler kleine Leinwandtäfelchen in einer Mehrfachbelichtung fest, die ihm als eine Art skizzenhaftes Archiv seiner Farbmischungen dienen. Durch die Mehrfachbelichtung werden diese Leinwandstücke in leichter Versetzung übereinander geschichtet und somit das die Malerei bestimmende Verfahren auf den fotografischen Apparat übertragen. Dergestalt ist die Fotografie Christian F. Kintzs eine Malerei mit anderen medialen Mitteln. Dass sie nun andererseits den Grad einer Verschiebung der Farbwirkung gegenüber den eigentlichen Bildtafeln einnimmt, liegt an jenem Umkehrverfahren, mit dem das fotografische Negativ nicht zu einem Positiv abgezogen wird, sondern als ebensolches bestehen bleibt. In diesem Zusammenhang verhält sich die Fotografie nun wie eine Umkehrung der Malerei oder in ihrer Transparenz der durchscheinenden Mehrfachbelichtung wie eine Art der Röntgendurchleuchtung des eigentlichen malerischen Körpers. Es ist diese subtile fotografische Umlagerung, die auf eine andere Denkweise der malerischen Utopie aufmerksam macht, die sich in den Bildtafeln Christian F. Kintz zu realisieren sucht: Es ist jene großartige Idee, wonach die Malerei nicht einen Körper abbildet, sondern ein solcher ist, der schließlich den ihn erzeugenden Malerkörper ersetzt.

Bernd Künzig

Ulrike Schick: Just how exquisite colour can be! (2003)

Christian Kintz’s works allow to perceive colour as both honest sole experience and a sensual space experience. It’s two basical qualities, even almost physical ones, that are inherent in the pictures and the experiencing of which takes up the viewer’s time. Three different formats which only differ minimally from a square hold more than 4 layers of clear, pure colour qualities. The materials used always are canvas and oil paint. Each time the latter is being mixed individually, secondary to the idea of the picture. It’s not that the original painting process develops by adding, but by substracting painting material. With a squeegee, a metal band, Kintz wipes off colour that had been applied to the ground by means of a brush or a palette knife. No “personal mark”, no movement of the brush lends a texture to the strictly smooth surface, which might distract from colour, the leading actor. Only in large formats one discovers tracks, set by the squeegee’s width, a gentle reference to movement and the coat of paint underneath. Applied step by step, layer by layer, colours coat and cover the canvas. Not one equals the one underneath in tis shade or its brightness. Even though those coats of paint are opaque, and therefore not transparent, the colour ground influences the nature of the surface, the accomplished picture appearance. The painting’s exact sequence reveals itself on the sides. Where the squeegee wiped off coats of paint they pour out in their individuality; concentrated power wins itself its place. Different colours glutinously pour forth into space, become distinct in their specific brilliance and density. The picture’s end, the frame as spatial boundary, is being questioned. The readable sequence tells a story about time.

Kintz masters formats via their specific coulourfulness. Quite naturally the large-format yellow presents itself in a different shape than his small-size relative. What, as a supposedly uniform surface, offers itself as a shape to the eye, holds something really marvellous, a great variety of shades and nuances. The picture exists out of a harmony of many colours whose call reverberates from the depth. The seemingly monochrome surface sees itself as skin beneath which a “colourful life” pulsates in its pronounced diversity. Kintz also thinks the hanging as an interplay of variety. Each time, the constellation, the cooperation which brings about the large “space picture” is being composed anew in new surroundings. Thus the works are brought onto the wall in the sense of an all-embracing picture space, as the idea of an installation. The picture creates melt – each time within a new cooperation – together towards a large and longed for picture-shape. Space settles down in the cooperation’s composition; after completion one feels that it is, on its part, being interpreted anew by the large picture. Small works in their cooperation turn into a large colour structure – single large-format works in association win flashing powers of a blaze of colours. What’s opposite, what’s side by side, and what’s below the other creates harmonies or repels itself, and finds its own harmony in the embracing in the end. With what’s opposite one isn’t “afraid of red, yellow, or blue”, even though the omnipotence of colours in this density exerts an enormous presence. A presence which crosses borders, fills with its perfume of its own – it can be smelled out. It is the clearness, the truthfulness and purity with which colour face the viewer, which do not allow swindle, or faking. Their readability on the sides, the cooperation of smallest details which defines the whole. It’s one colour cosmos after the other which do not soak us in, where one, happily, can get lost all the same.

We stand – within us and within the room – inside a large picture, we can walk in it, experience and enjoy it, embedded we can feel secure within intrinsic colour oscillations which find themselves – among each other, and with us – in a continuous dialogue and sensual exchange.

Dr. Ulrike Schick, Catalogue to the exhibition at Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf, 2003

Klaus Mewes: Rede zur Einzelausstellung, Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf (2003)

Der Künstler setzt also den Farbe bewegenden, schiebenden Rakel an den Bildkanten an und beendet den Zug an den gegenüberliegenden Seiten, so dass sich bei jeder Rakelung ein unregelmäßiger kleiner Farbabdruck und -wulst bildet und sich die jeweiligen Farbschichten einmal klarer, einmal weniger klar auf den mit Leinwand bedeckten Rahmenseiten abzeichnen. Die so entstandene Informalität der Bildkantenränder korrespondiert mit einer zwar stark zurückgenommenen, aber für das aufmerksame Auge durchaus wahrnehmbaren Informalität der Farbfläche selber; denn die Farbschichten unterliegen einer mehr oder weniger arbeits- und konsistenzbedingten Unregelmäßigkeit ihrer Stärke, so dass an den „dünneren“ Stellen die darunter liegenden Schichten durchschimmern und damit ein leichtes Changieren des Oberflächenfarbtons auftritt, welches sich „statistisch“ annähernd gleichmäßig über die Bildfläche verteilt. Dieses „sensitive“ Leben der Oberfläche wirkt mit der spezifischen Anmutungsqualität des jeweils im Gemälde dominierenden Farbtons emotionalisierend zusammen – entsprechend nimmt diese Farbflächengestaltung die Tradition und den Reiz der „Peinture“ auf, wie er vom 19. Jahrhundert bis zur klassischen Moderne als Kategorie der Malerei selbstverständlich war. […]

Der Maler belässt es nun nicht beim Einzelbild, sondern er kombiniert mehrere Gemälde zu Ensembles oder Tableaus, so dass sich sehr unterschiedliche Farbzusammenklänge ergeben. Diese Kombinatorik erweitert die Auseinandersetzung mit Farbe auf eingegrenzter Fläche erheblich. Zunächst bieten die Ensembles eine das Auge zum Springen verleitende vielgestaltige Farbräumlichkeit: die hellen Bilder kommen gleichsam nach vorn, während die Dunklen zurücktreten. Das Rot, von der spektralen Kraft her die stärkste Farbe, kann in gesättigtem Modus farbräumliche Dominanz auch gegenüber viel helleren Farben gewinnen. Komplizierte Muster eines kontrastschwächeren oder antagonistischen Vor- und Zurück ergeben sich. Nebeneinander präsentiert erzeugen dagegen gemischte, im Ton nah verwandten Flächen den Eindruck von Ruhe, Dauer und Beschränkung; reine oder helle Farben können wiederum Geschwindigkeit, Aggressivität und Nervosität vermitteln.

Paradigmatik und Prägnanz gewinnen die Anordnung der Bilder durch geometrische Strenge. Der Maler lässt nur seitenparallele Positionen zu, solche in Reihen, Doppelreihen und geschlossenen oder offenen Blöcken. Doch zugleich verwirft er Ordnungssysteme – sowohl im Spiel der Farbkombinationen zwischen vorn und hinten, schnell und langsam, als auch in der Wahl „hässlicher“ Farbkonfrontation und einer gleichsam antiklassischen Tendenz, die die Seitenproportion der Gemälde bestimmt. Die Einzelbilder bilden weder das klassische deutliche Hochformat noch die ausgewogene Quadratform, sondern eine Art gestauchten Hochformats, das durch seine geringe Abweichung vom Quadrat Eigenwilligkeit behauptet und damit eine bewusste Abweichung von der Norm, der „Normalität“, signalisiert. […]

Während eines Gesprächs zur Vorbereitung dieser Ausstellung verwies der Künstler en passant auf eine unterschiedliche Positionierung der Leinwände beim Auftragen der Farben. Die „kleinen“ und manchmal auch die „mittleren“ Formate liegen aus arbeitstechnischen Gründen beim Rakeln auf einem Tisch, die „großen“ stehen oder hängen dagegen an der Atelierwand. Bei der Herstellung der „kleinen“ Bilder beugt sich Kintz über die Leinwand und blickt von oben auf die Fläche, bei den „großen“ Formaten steht er in klassischer Malerposition vor dem Gemälde – die Wand dient dabei als Staffelei. Entsprechend variiert der Künstler die Führung des Rakels. Bei der Arbeit über dem Bild kann er das Malwerkzeug von links nach rechts, von rechts nach links gleiten lassen, stehend vor dem Bild wird zumeist von oben nach unten gestrichen. Dabei ist eine Drehung des Bilds nach einer kurzen Trocknungsphase um 90 beziehungsweise 180 Grad nicht ausgeschlossen.

Ein Ensemble von verschieden großen Bildern besteht also aus einer Kombination von Arbeiten, die entweder aufsichtsperspektivisch oder ansichtsperspektivisch entstanden sind. Diese wechselnden Perspektiven, die dem Betrachter zunächst nicht auffallen müssen und doch präsent sind, transportieren Malereigeschichte, die einen tiefen Einblick in den Prozess gesellschaftlicher Veränderung gestattet.

Mit einem dramatischen Aufschrei befragt am Ende des 19. Jahrhunderts der Philosoph Friedrich Nietzsche seine Zeitgenossen: „Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wie diese Erde von ihrer Sonne losketteten? […] Wohin bewegen wir uns? Stürzen wir nicht immerwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und Unten?“ Der von Nietzsche beklagte Verlust des Horizonts mit der Vision der Boden- und Haltlosigkeit findet sich ästhetisch wieder in einer Unzahl von Gemälden des ausgehenden 19. Jahrhunderts – ich erinnere nur an die steil schräg nach vorn rutschenden Böden in den Bildern von Vincent van Gogh oder an die Verstellung des Horizonts in den Stadtansichten von Gustave Caillebotte und Eduard Manet -, und wird auch von Politikern als Metapher der unsicher gewordenen Verhältnisse eingesetzt. August Bebel spricht bereits 1872 davon, dass „[…] die herrschenden Klassen keinen festen Boden mehr unter ihren Füßen [fühlen]“ und „die Regierungen schwanken wie ein Rohr im Winde“, „[…] sie lehnen sich bald auf diese, bald auf jene Seite.“

Das Verschwinden des Horizonts und seine Ersetzung durch eine Schrägaufsicht in den Bildern um 1990 ist jedoch nur der Anfang einer sich sukzessiv bis heute vollziehenden, radikalen Auflösung zentral- und ansichtsperspektiver Bildauffassung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einerseits entdecken Künstler wie Paul Klee und Pablo Picasso die aperspektivische Darstellungsweise des Kindes und der aussereuropäischen Kulturen als Alternative zur obsolet gewordenen akademischen Lehre und als ästhetisches Äquivalent modernen Lebens in der Großstadt mit den architektonischen Verschachtelungen der Hochhausblöcke, dem einsetzenden, auf motorisierte Bewegung und schnellen Transport zielenden Verkehr und der Warenästhetik. In dieser Epoche der großen Industrie hat die Einsteinsche Relativitätstheorie die Bindungen an lineare Raum- und Zeitvorstellungen und die Beschränkungen euklidischer wie newtonscher Geometrie und Physik gekappt. Flächigkeit und Abstraktion, Wechselperspektiven, Perspektivbrüche und Negation jeglicher perspektivischer Räumlichkeit beherrschen nun die Malerei. Andererseits reagieren die Künstler auf die mit der „Eroberung der Luft“ verbundenen neuen Wahrnehmungserfahrungen von oben auf die plane Erdoberfläche.